„(...) alles, was man gerade denkt (muß) einer Arbeit, an der man steht, um jeden Preis einverleibt werden (...). Sei es nun, daß darin ihre Intensität sich bekundet, sei es, daß die Gedanken von vorneherein ein Telos auf diese Arbeit in sich tragen."
Walter Benjamin

„Der ernsthafte Künstler ist der einzige Mensch, der der Technik ungestraft begegnen kann, und zwar nur deswegen, weil er als Fachmann die Veränderungen in der Sinneswahrnehmung erkennt."
Marshall McLuhan

Diese Website ist Teil eines Projektes, welches ich im Juli 1999 angefangen habe und das bis heute andauert. Das Projekt heisst bike´n phile. Sein Name setzt sich zusammen aus den englischen Bezeichnungen für Fahrrad und Fahrradfahren (bike / to bike) und für speichern/ablegen (to file). Der Neologismus to phile entstand aus einer Kreuzung des Klanges des Wortes to file mit der Schreibweise von Philosophie, bzw. philosophy.
Man könnte sich to phile als Bezeichnung für die beschleunigte Verarbeitung philosophischer Gerüstbauteile unter dem Zeichen elektronischer Datenverarbeitung vorstellen.
(Im Ursprung entstand der Name bike´n phile aus dem Bedürfnis, eine komprimierte, gut verkäufliche Bezeichnung meines Projektes für die Kommunikation mit Sponsoren zu finden, in der zugleich eine Spur Ironie enthalten sein sollte.)
Das multimediale Projekt

Für Tourenfahrer und die diejenigen, welche Reisetexte schätzen, dürfte der Teil Simon Sparwassers philosophische Radrundreisen interessant sein; dokumentiert er doch schließlich die Tour, welche dem ganzen hier vorliegenden Unterfangen zugrundeliegt.

Neben den Texten und der Website begann ich während der ersten Touren eine Fotoserie mit dem Titel Die Abhängigkeit der Tour von der Straße, die ich bis heute fortführe. Sie ist auf dieser Website abrufbar. Die Präsentation der Fotos in geordneten Reihen mit daruntergelegten Geräuschspuren stellt einen Versuch dar, die der Serie zugrundeliegende Erkenntnis ausstellungstechnisch mit den Mitteln des Internet umzusetzen.

Wer vor allem wegen des Themas Fahrrad auf dieser Site gelandet ist, der findet in der Datenbank Raddaten hoffentlich viele anregende Literaturschnipsel und -hinweise. Ursprünglich zur Erleichterung der Recherche für meine Magisterarbeit angelegt, soll sie bei der Suche nach Lektüre zu verkehrsgeschichtlichen und -theoretischen Themen behilflich sein.

Eine Vertiefung des hier entwickelten fahrrad-erkenntnistheoretischen Ansatzes befindet sich in meinem jetzt erschienen Buch Rasende Flaneure. Eine Wahrnehmungsgeschichte des Fahrradfahrens, das eine etwas überarbeitete Fassung meiner Magisterarbeit darstellt
.

In der Überlagerung all dieser Elemente ist ein umfassendes und hoffentlich nicht-langweiliges Archiv der fahrradfahrenden Erkenntnis entstanden.
Viel Vergnügen bei der Durchreise!

Fahrradtour - Wissenschaft - Kunst

Das bike´n phile - Projekt konstituiert sich innerhalb eines Dreiecks, das durch die Beziehungen zwischen Wissenschaft, Kunst und Radtour gebildet wird. Wissenschaft stiftet systematisches Erkenntnisinteresse und das Ziel einer konsistenten Präsentation von Ergebnissen in vorwiegend textueller Form. Aus der Radtour entspringen zum einen die Lust - an der körperlichen Bewegung, am Reisen -, welche mir das Verfolgen eines so umfassenden Projektes ermöglicht, zum anderen spezifische Arten empirischer Erkenntnis. Ein künstlerisches Konzept schafft die nötige formale Strenge, mit der eine offene und performative Versuchsanordnung in Wissenschaft überführt werden kann.

Philosophische Fahrradtouren
Im Sommer 1999 schaffte ich durch zwei große konzeptuelle Fahrradtouren - "Simon Sparwassers philosophische Fahrradtouren" - den praktischen Einstieg in das bike´n phile - Projekt. Angeregt durch die konzeptuellen Wanderungen des englischen Künstlers Hamish Fulton entwarf ich einen Tourplan, der sich nach Orten ausrichete, die in Zusammenhang mit Denkern bzw. Werken stehen, mit denen ich mich auf der Tour auseinandersetzen wollte: Kant, Heidegger, Nietzsche, Goethe, Benjamin, Barthes, Deleuze, Virilio. Die Tour sollte eine mehrfache Überlagerung bzw. Ineinanderschachtelung von Texten und Landschaft, Wahrnehmung, Denken, Schreiben und Lesen bewirken und der Thesenfindung für meine kulturwissenschaftliche Magisterarbeit dienen. Es ging mir um die Erfahrung der Bedingungen an den Orten und auf dem Weg dorthin, sowie um den Effekt, eine Karte der Gedanken, die mich beschäftigten, real mit dem Fahrrad zu zeichnen. (Vergleichbar dem, was Virilio als Ausgangsprojekt der Pädagogik „in den Gärten Akademos´ " beschreibt: das Stiften eines sinnvollen Zusammenhangs durch - körperliche und geistige - Bewegung .) So bestimmte erst die Vorauswahl der Lektüre die Abfolge meiner Zwischenstationen und dann die zeitliche Abfolge dieser Stationen die Auswahl der Lektüre: Ich konnte mich nur im Schwarzwald und ein Stück den Rhein hinauf mit Heidegger auseinandersetzen, denn, wenn ich im Engadin ankam, wollte ich schon mit der Lektüre von Nietzsche begonnen haben. Ich musste mir überlegen, bis wann ich den „Zarathustra" fertiggelesen haben wollte, damit ich spätestens bei der Abfahrt ins Rhonetal den Kopf frei hätte für die Goethesche Schweizreise usw.
Über die Ergebnisse meines Lesens und Denkens führte ich Tagebuch. Daneben entwickelte ich im Laufe der Fahrt eine Technik des Erzeugens und Aufzeichnens von Gedanken unter verschärften Bedingungen körperlicher Anstrengung: Während der Passfahrten sprach ich Bestandsaufnahmen dessen auf Recorder, was ich in den Tagen zuvor gedacht, gelesen und geschrieben hatte. Auf diese Art und Weise entstanden mehrere MiniDiscs voller schweratmender Theorie-Selbstvergewisserungen, unterbrochen und begleitet durch vorbeifahrende Autos und die athmosphärischen Geräusche der durchfahrenen Landschaft.

Tour - Text
Radtour und Kunst bildeten in bezug auf die wissenschaftliche Arbeit am Text das externe Element, das den Zusammenhang stiftete: Ich hatte keine große These oder Fragestellung am Anfang, der ich mich bis zum Ende meiner Arbeit verpflichtet gefühlt hätte. Vielmehr bewegte ich mich durch die Texte - die fremden und die eigenen - wie auf der Radtour, in erster Linie meinen aktuellen Interessen und Wahrnehmungen verpflichtet. Richtungswechsel und „Umwege" wurden so Teil einer Tour-Poetik, welche nur einen essayistischen Text hervorbringen konnte (und wollte). Der Anspruch einer adäquaten Durcharbeitung des Gedachten und des Geschriebenen ergab sich mindestens genauso aus einem schriftstellerischen Ethos wie aus einem wissenschaftlichen.
Aber der Text entfaltete seine zusammenhangstiftende Wirkung als zugleich externes und internes Element auch bezogen auf die Fahrradtour: Dazu gezwungen, der Spur der Texte zu folgen, zeigte sich, dass die Tour schon immer nur in bezug auf Texte möglich ist, dass sie in den Texten stattfindet, welche ihre Orte und Landschaften präfigurieren, bzw. im Zuge der Tour entstehen. Die Texte - oder: der Text - bilden das gemeinsame Element der Touren des Fahrens und der Lektüre, bzw. des Denkens. Das künstlerische Konzept wird zum verbindenden Glied zwischen beiden Touren, indem es, ebenfalls auf der Ebene des Textes, beide Bewegungen: die des Geistes und die des Körpers, formal bestimmt, ohne sie direkt aufeinander zu beziehen.

Elektronische Geschwindigkeit - Laptop und Internet als Fahrzeug
Das Fahrrad verhält sich zur Eisenbahn wie der Laptop zum Großrechner. Beide individualisieren ein vorhandenes Medium. Internet und Computer bilden zusammen ein Fahrzeug wie Zug und Schiene oder Fahrrad (Wagen) und Straße. Jedes Fahrzeug bringt seine eigenen Wahrnehmungen hervor. Seine raum/zeitlichen Erfordernisse schlagen sich in den Produktionen nieder.
Eine Website befindet sich auf halbem Wege zwischen Buch und Film: Es gibt eine bestimmte Dramaturgie, zeitliche Verläufe, eine Unhintergehbarkeit des sogenannten „Multimedialen". Die links sind wichtig, wie die Schnitte in einem Film.
Es liegt nahe, dass sich eine Arbeit über die Fahrzeuge einer im Vergehen begriffenen Epoche den Bedingungen der Fahrzeuge stellt, welche wahrscheinlich die neue Epoche prägen werden, auch und gerade wenn noch nicht absehbar ist, welche Richtung diese Prägung nehmen wird. Im besten Falle stellen sich dabei ebenfalls Erkenntniseffekte von der oben erwähnten Art der Überlagerungen ein, sicherlich hat es Rückwirkungen auf die „normale" Ausarbeitung dessen, was bis dato einen (z.B. wissenschaftlichen) Text als solchen durchgehen ließ.

Fahrradfahren, im Zelt übernachten, lesen - in der Stadt sein, einen Tisch mit Strom haben und schreiben - die Verbindung zum Internet herstellen

Also erweiterte ich mein Konzept um einen elektronischen „echtzeitlichen" Teil. Die Firma Panasonic stellte mir freundlicherweise ein Toughbook - das ist ein speziell für den Outdoor-Gebrauch konzipiertes Laptop - für den Zeitraum der Reise zur Verfügung und so konnte ich meine Reise- und Lektüreerfahrungen in ein elektronisches Tagebuch schreiben, das ich alle paar Tage, ergänzt um Fotos, die ich mit einer Webcam aufnahm, ins Netz lud. Bei der Konzeption der Site diente mir zunächst das künstlerische Reise- und Netzprojekt Arctic Circle als Vorbild, an dem ich mich orientieren konnte. So entstand der „historische Kern" dieser Website: bike´n phile - Simon Sparwassers philosophische Radrundreisen.
Die Gliederung jedes Eintrags sowie die Art meiner Texte sollten die verschiedenen Arten der Erfahrungen eines Zeitabschnitts stilistisch wiedergeben und gleichzeitig - wie auf einem Tableau - verfügbar machen. Deswegen gibt es eine durchgehende Aufteilung dieses Teils in die frames „Tagebuch", „Philo" und „Medientext". Die Ökonomie meiner Reise war bestimmt durch diese verschiedenen Aufteilungen: der Abfolge der Lektüre und der durch diese vorgegebenen Routenführung - Fahrradfahren, im Zelt übernachten, lesen -einerseits, und dem Rhythmus des Schreibens und den Notwendigkeiten des Notebooks sowie der Dokumentation im Internet - in der Stadt sein, einen Tisch mit Strom haben, schreiben - andererseits. Meine Tour endete in Paris. Als ich, in der neuen Nationalbibliothek, wenige Stunden vor Abfahrt meines Zuges zurück nach Deutschland, zum letzten mal auf der Reise Dateien auf die bike´n phile-Website übertrug, war diese auf 26 Einträge (1 EinTrAG entspricht immer einem Tagebucheintrag, umfasst aber meistens mehrere Tage) angewachsen.

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